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Waren die Griechen farbenblind?
 
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Knut Hacker
Gast





BeitragVerfasst am: 18. Jan 2011 19:56    Titel: Waren die Griechen farbenblind? Antworten mit Zitat

Waren die Griechen farbenblind?

Diese Frage stellte und behandelte Ludwig Reiners in seinem längst legendären Kultbuch: Stilkunst“ im Kapitel: „Die Bedeutung der Sprache“
.
Er führte zunächst folgende Beispiele an:
„ Euripides sagt in der „Iphigenie“, die Simse des Altars seien vom Blute xanthón (ξανθόν) gewesen; das Wort scheint also rot zu bedeuten, und bei lateinischen Schriftstellern wird es auch ausdrücklich mit ruber (rot) gleichgesetzt. Aber Äschylos nennt in den „Persern“ die Blätter des Ölbaumes xanthón; danach wäre es eher mit grün zu übersetzen. Doch auch der Honig wird gelegentlich xanthón genannt; die Bedeutung des Wortes spielt also auch ins Gelbliche hinüber.. ...
Ähnlich schwankend verwenden die Griechen auch andere Farbnamen. Ochrón (ὠχρόν) bezeichnet im allgemeinen die Hautfarbe und wird meist mit blass übersetzt. Aber in einem ärztlichen Buch wird auf die Frage, woran der Arzt die Fieberhitze erkenne, geantwortet: daran, dass der Kranke ochrón wird; Hippokrates sagt sogar einmal ausdrücklich, ochrón sei die Farbe des Feuers. Zu allem Unglück wird jedoch bei wieder einem anderen Schriftsteller die Farbe des Frosches ochrón genannt; sollte ochrón auch grün bedeuten?
Hyqakinthon (ὑάκινθον) schließlich hat Luther in der Bibel mit gelb übersetzt, andere Übersetzer mit grün. Heute glauben wir, dass hyákinthon blau bedeutet

Angesichts dieses wunderlichen Farbenlabyrinths haben manche Forscher die Hypothese aufgestellt, die Griechen seien samt und sonders farbenblind gewesen. Aber diese Ansicht hat sich nicht durchgesetzt.....“

Reines bietet folgende Erklärung an:

„.. die Wirklichkeit selbst kennt ja nicht etwa nur die sieben Farben des Regenbogens, sondern ein unübersehbares Meer von lauter verschiedenen Farbtönen. In dieses Meer bringen wir eine gewisse Ordnung, indem wir mit dem Worte rot oder blau bestimmte ähnliche Schattierungen zu einem Begriff zusammenfassen....
Nun ist es durchaus denkbar, dass ein anderes Volk aus der unendlichen Mannigfaltigkeit der Farbschattierungen andere Farbtöne zu einem Begriff vereinigt als wir. Die Farbe des Heideröschens und die Farbe des Blutes haben etwas gemeinsam, was wir rot nennen, und so fassen wir diese Farbtöne unter dem Namen rot zusammen. Aber ein anderes Volk findet vielleicht, die Farbe des Heideröschens und die Farbe eines jungen Birkenblättchens hätten ein gemeinsames Merkmal, nämlich die Helligkeit; dies Volk würde aus rosa und hellgrün den Begriff hellfarbig bilden und nie zu den Worten grün und rot gelangen.
So haben die Griechen offenbar ganz andere Töne zu einheitlichen Fachbegriffen vereinigt. Auch die lateinischen Farbnamen stimmen nicht mit den unseren überein. Wer etwa purpureus mit purpurfarbig übersetzen wollte, wird erstaunt sein, dass Horaz auch den Schwan purpureus nennt; die Römer gaben glänzend weißen und glänzend schwarzen Gegenständen die Bezeichnung purpurn.“

Reiners bringt dann eine Fülle weiterer Beispiele für unterschiedliche Begriffsbildungen in verschiedenen Völkern und Kulturen.
So gibt es im Serbischen kein einheitliches Wort für Onkel, sondern drei verschiedene Worte für den Vaterbruder, den Mutterbruder und für den Gatten der Vater-oder Mutterschwester, und auch kein einheitliches Wort für den Schwager, sondern unterschiedliche Bezeichnungen für den Bruder des Ehemanns und den Bruder der Ehefrau. Das Chinesische kennt sogar kein Wort für Bruder, sondern nur zwei Wörter: eines für den älteren Bruder und eines für den jüngeren. Manche Südseeinsulaner haben keine Zahlwörter schlechthin, sondern für jede Zahl verschiedene Wörter, je nachdem ob es sich um Menschen oder Kokusnüsse oder Häuser oder Pflanzungen usw. handelt. Einige IndianesSprachen haben 13 verschiedene Zeitwörter für das Waschen, je nachdem ob Hände, Gesicht, Kleider oder Schüssel gewaschen werden. Bei einem Afrikanerstamm wurde die gleiche Bezeichnung für Gott und Wildfleisch gefunden. Die Möbel zum Sitzen und Liegen werden im Englischen und im Deutschen völlig unterschiedlich kategorisiert. Die Koreaner kennen 20 Modi, je nach dem Rangverhältnis zwischen Sprecher und Hörer. In einigen afrikanischen Dialekten beginnt jedes Wort mit einer von 17 Vorsilben, mit denen die Welt in 17 Grundkategorien eingeteilt wird.

Reiners fasst zusammen, dass Worte keine Etiketten seien, die der Menschengeist auf verschiedene Dinge aufklebt, da es in der Wirklichkeit keine klar abgegrenzten Dinge gibt. Aus der Mannigfaltigkeit von Einzelerscheinungen wählt die Sprache einzelne Erscheinungen mit bestimmten Merkmalen aus und fasst sie in einem Wort zusammen.

Die Begriffsbildung ist eine abstrahierende Beschreibung. Mit ihr werden Gegenstände und Beziehungen unserer Sinneseindrücke, unseres Denkens, unseres Fühlens und unseres Wertens mit bestimmten gemeinsamen Merkmalen zusammengefasst.Die Auswahl der Merkmale kann aber von Kultur zu Kultur verschieden sein.

Jeder, der eine neue Sprache, zum Beispiel Neuegriechisch lernt, macht die Erfahrung, dass er Wörter, die er laufend in dieser Sprache hört oder liest, in keinem Wörterbuch findet,welches in seine eigene Sprache übersetzt .Oder aber die Übersetzung passt nicht so recht, wie zum Beispiel bei Brot oder Wald, worunter man in südlichen Ländern etwas anderes vorfindet als bei uns.Oder es gibt Füllwörter oder melodische Satzgefüge,die einem bestimmten Sprachgefühl entspringen, das von Fremdsprachlern nie erlernt werden kann.Im heutigen Griechenland spricht fast jeder schwerpunktmäßig anders, da es keinen festumrissenen Wortschatz , keine fest umrissene Formenbildung und keine fest umrissene Grammatik gibt.Es überlagern sich insbesongere die Katharevousa und die Dimotiki, griechische und türkische Wörter, unterschiedliche Rechtschreibungen mit unterschiedlicher Aussprache, die Slangs verschiedener Milieus.


Zuletzt bearbeitet von Knut Hacker am 19. Jan 2011 17:45, insgesamt einmal bearbeitet
Goldenhind
Administrator


Anmeldungsdatum: 28.03.2006
Beiträge: 1085
Wohnort: Bremen

BeitragVerfasst am: 18. Jan 2011 20:15    Titel: Antworten mit Zitat

Der berühmte britische Premierminister William Gladstone hat übrigens schon im 19. Jahrhundert ein Buch über Homer verfasst, in dem er über dessen für unsere Begriffe merkwürdige Farbzuordnungen (insbesondere die offenbar fehlende Unterscheidung von blau und grün) schreibt.
Knut Hacker
Gast





BeitragVerfasst am: 19. Jan 2011 17:44    Titel: Antworten mit Zitat

Goldenhind hat Folgendes geschrieben:
Der berühmte britische Premierminister William Gladstone hat übrigens schon im 19. Jahrhundert ein Buch über Homer verfasst, in dem er über dessen für unsere Begriffe merkwürdige Farbzuordnungen (insbesondere die offenbar fehlende Unterscheidung von blau und grün) schreibt.

Sehr interessant.Vielleicht hat Reimers seine Kenntnisse aus dieser Quelle bezogen.Kennst du eine Fundstelle?
Knut Hacker
Gast





BeitragVerfasst am: 19. Jan 2011 18:10    Titel: Antworten mit Zitat

Zu der von mir obiter dictu erwähnten melodischen Sprachführung der Griechen durch Wortstellung und füllende Silben und Partikel, die ja insbesondere von Homer her bekannt ist, möchte ich zwei neugriechische Beispiele bringen.

Es besteht ein Bedeutungsunterschied,ob ich
καλὴ νύχτα σας oder καλή σας νύχτα oder σὰς καληνυχτίζω wünsche.Die Sprachmelodik wird immer lockerer und damit der Wunsch immer persönlicher.

„Mich“ heißt – wie im Altgriechischen – unbetont με (enklitisch), betont ἐμέ. Letzteres läßt sich ausdehnen über ἐμενα bis zu ἐμένανε. Das findet man in keinem Wörterbuch und in keinem Lehrbuch,obwohl es sich um eine alltägliche Spracherscheinung handelt.
Knut Hacker
Gast





BeitragVerfasst am: 20. Jan 2011 18:49    Titel: Antworten mit Zitat

Nachtrag:

Ein Rest der altgriechischen Farbeindrücke hat sich bis zu den heutigen Griechen hinübergerettet.

In Thrakien leben im griechisch-bulgarischen Grenzgebiet die Pomaken. Sie sind unzweifelhaft rothaarig (im übrigen blauäugig, hochwüchsig und langschädelig). Die Griechen bezeichnen sie als ξανθοί, was laut Lexikon blond bedeutet. Dementsprechend heißt die Hauptstadt und der Verwaltungsbezirk, in dem sie leben Ξάνθη (weiß der Teufel, wie die Akzentverschiebung zu erklären ist).
Schon Herodot und Thukydides hatten die Thrakier in dieser Gegend ( Ἀγριάνες oder Ἀχριάνες ) als ξανθοί bezeichnet (von den Thrakiern hat Ersterer im übrigen berichtet, dass sie die Geburt beklagten und den Tod bejubelten).
Man ist sich einig, dass im Siedlungsgebiet der Pomaken seit der Antike keine Zuwanderungen aus anderen Gegenden stattgefunden haben, es sich bei den Pomaken also um die Nachkommen der antiken Bevölkerung handelt. Der Name Pomaken wird abgeleitet von ἀπόμαχοι, da Alexander der Große aus diesem Volk die Grenzwächter rekrutierte, die ihn bei seinen Feldzügen nicht zu begleiten brauchten.Andere leiten den Namen aus dem Wort μᾶκος = μῆκος ab, auf das Herodot die Bezeichnung Makedonien zurückführte.
Die Pomaken haben sich im Laufe der Geschichte an ihre Umgebung assimiliert. Sie sprechen daher einen bulgarischen Dialekt und sind im Osmanischen Reich von der orthodoxen Religion zum Islam übergetreten. Der größte Teil lebt heute in Bulgarien.Soweit sie in Makedonien angesiedelt waren, wurden sie im Zuge des vom Völkerbund 1922 angeordneten Bevölkerungsaustausches in die Türkei umgesiedelt. In allen drei Heimatländern genießen sie nur wenig Minderheitenschutz. Jeder dieser Länder rechnet sie sich ethnisch zu, Bulgarien (wegen der Sprache), und die Türkei (wegen der Religion) aber wohl zu Unrecht.
Knut Hacker
Gast





BeitragVerfasst am: 24. Jan 2011 13:52    Titel: Antworten mit Zitat

Weiterer Nachtrag

Die von Homer überlieferten Gesten des Bejahens und Verneinens durch das Wenden des Kopfes zur Seite beziehungsweise das Heben des Kopfes - fast konträr zur den unsrigen des Kopfnickens und Kopfschüttelns - sind nicht nur auch im heutigen Griechenland üblich, sondern – so weit ich erfahren und erlebt habe – zumindest auch in Albanien, Makedonien, Bulgarien und in Indien.
Möglicherweise zeigt sich hier wieder – wie bei der Musik – eine auffallende Gemeinsamkeit der Völker auf dem Gebiet des ehemaligen Reiches Alexanders des Großen. Ich vermute, dass auch in der Türkei, in Persien und im Kaukasus die beschriebene Gestik verbreitet ist.
Goldenhind
Administrator


Anmeldungsdatum: 28.03.2006
Beiträge: 1085
Wohnort: Bremen

BeitragVerfasst am: 24. Jan 2011 15:48    Titel: Antworten mit Zitat

Vor dem Hintergrund, dass das Reich Alexanders des Großen ja nur wenige Jahre Bestand hatte und nach dessen Tod relativ schnell zerfallen ist, frage ich mich aber doch, ob man da wirklich einen Kausalzusammenhang zu (bis heute) ähnlichen kulturellen Praktiken ableiten kann...
Knut Hacker
Gast





BeitragVerfasst am: 24. Jan 2011 19:55    Titel: Antworten mit Zitat

Goldenhind hat Folgendes geschrieben:
Vor dem Hintergrund, dass das Reich Alexanders des Großen ja nur wenige Jahre Bestand hatte und nach dessen Tod relativ schnell zerfallen ist, frage ich mich aber doch, ob man da wirklich einen Kausalzusammenhang zu (bis heute) ähnlichen kulturellen Praktiken ableiten kann...


Bestanden denn nicht bereits vor den Alexandrinischen Feldzügen und danach lebhafte kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen zu der Welt, die sich Alexander untertan machen wollte? Es war die damals bekannte Welt. Man denke an den philosophischen Skeptizismus Pyrrhons und Arkesilaos`, der zum Hinduismus Parallelen aufweist, oderan Platons Seelenlehre im Phaidon,die mit der fernöstlichen Reinkarnationslehre doch eine gewisse Ähnlichkeit zu haben scheint.
Die noch heute bestehenden kulturellen Gemeinsamkeiten sind meiner Ansicht nach schon auffällig.
Manche führen das auf die Einwanderung der aus Indien stammenden Roma in die Balkanregion zurück. Aber die Gemeinsamkeiten bestanden wohl schon weit vorher. Das bezieht sich nicht nur auf das "Indogermanische", sondern vor allem auf die frappierende Ähnlichkeit der Musik. deren tragende Merkmale man ja weit vor die byzantinische Ära in die Antike zurückverfolgen kann. Es gibt wissenschaftliche .Rekonstruktionen dieser altgriechischen Musik. Ich kann hierzu auf Wunsch gerne CD- Empfehlungen geben.
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